Die inaktive Bevölkerung

Bis zum Jahr 2030 soll Belgien eine Beschäftigungsrate von 80% erreichen, so das erklärte Ziel der Föderalregierung. Dafür muss auch der sogenannte „inaktive“ Teil der Bevölkerung erreicht und zumindest teilweise in Beschäftigung gebracht werden. Worum handelt es sich dabei eigentlich?

Bis zum Jahr 2030 soll Belgien eine Beschäftigungsrate von 80% erreichen, so das erklärte Ziel der Föderalregierung. 2022 liegt diese Rate in Belgien noch nur bei 71,9% und damit auch unter dem europäischen Durchschnitt von 74,6%. Innerhalb Belgiens treten zudem bedeutende regionale Unterschiede zutage: Liegt die Quote in Flandern bei 76,7%, so erreicht sie in der Wallonie und in Brüssel nur gut 65%. In der Deutschsprachigen Gemeinschaft wurde 2022 laut Arbeitskräfteerhebung eine Quote von 78,4% ermittelt, womit zumindest hier das Ziel schon fast erreicht wäre.

In Zeiten des akuten Fachkräftemangels wird aber verständlicherweise die Frage laut, woher die Arbeitskräfte kommen sollen, die es braucht, um die vielen offenen Stellen zu besetzen und das Beschäftigungsziel insgesamt zu erreichen.

Eine erste offensichtliche Zielgruppe stellen die verbleibenden Arbeitslosen dar. Doch die Analysen zeigen, dass selbst wenn es gelingen würde, alle Arbeitslosen in Belgien in Arbeit zu bringen, eine erhebliche Lücke im Verhältnis zum Bedarf bliebe.

Das ambitionierte Ziel kann - wenn überhaupt - nur erreicht werden, wenn der sogenannte „inaktive“ Teil der Bevölkerung erreicht und zumindest teilweise in Beschäftigung gebracht werden kann. Damit sind die Menschen im erwerbsfähigen Alter gemeint, die nicht beschäftigt sind, aber derzeit auch nicht nach Arbeit suchen. Belgienweit umfasst die Gruppe der Inaktiven im Alter von 20-64 Jahren rund 1,6 Millionen Menschen und ist damit rund sechsmal größer als die Gruppe der Arbeitslosen.

Und in der Deutschsprachigen Gemeinschaft? Wie viele Personen umfasst die inaktive Bevölkerung in der DG und wer sind diese Menschen?

Vollständige Zahlen zur inaktiven Bevölkerung in der DG liegen leider nicht vor, aber auf Basis verfügbarer Teilinformationen aus unterschiedlichen Quellen (Statbel, Arbeitskräfteerhebung, Datawarehouse der Banque Carrefour de la Sécurité Sociale, …) können zumindest Schätzungen vorgenommen werden.

Im Datawarehouse der Kreuzpunktdatenbank der sozialen Sicherheit (BCSS) werden alle Personen erfasst, die einem der verschiedenen Zweige der belgischen Sozialsicherheit bekannt sind (LSS für die Arbeitnehmer, INASTI für die Selbständigen, LfA für die Arbeitslosen, LIKIV für die Krankenversicherten, …). Jeder Bürger wird in der Datenbank einer der folgenden vier Hauptkategorien zugeordnet: arbeitend, arbeitslos, inaktiv oder sonstige. Ist eine Person mehreren Einrichtungen der sozialen Sicherheit bekannt (ist z.B. in Arbeit und in Laufbahnunterbrechung, kombiniert eine Pension und Sozialhilfe, …), wird sie derjenigen Kategorie zugeordnet, die dem Arbeitsmarkt am nächsten ist.

Unter die Kategorie der „Sonstigen“ fallen hingegen die Personen, die keine Verbindung zu den belgischen Behörden der Sozialsicherheit haben, so z.B. Hausfrauen und -männer, Grenzgänger, nach Belgien entsandte Personen oder auch Schwarzarbeiter. Da es aber gerade in Ostbelgien besonders viele Grenzgänger gibt, ist hier also leider ein relativ großer Teil der Bevölkerung nicht erfasst. Hausfrauen und -männer zählen eigentlich zur inaktiven Bevölkerung, können hier aber ebenfalls nicht aus den sonstigen herausgerechnet werden.

Demnach zählen zu den Inaktiven im Alter von 20-64 Jahren, die den Behörden der sozialen Sicherheit in Belgien bekannt sind, in der Deutschsprachigen Gemeinschaft zum 30. Juni 2020 rund 6.300 Personen. Rechnet man - in Ermangelung einer besseren Alternativen - die über die Arbeitskräfteerhebung ermittelte Zahl von rund 1.250 Hausfrauen/-Männer hinzu, so kommt man auf eine Zahl von etwa 7.600 Inaktiven.

Dann fehlen allerdings immer noch die Personen, die ausschließlich Sozialleistungen aus dem Ausland beziehen (Krankengeld, Pensionen, Familienzulagen…) und die keiner belgischen Sozialkasse angeschlossen sind.

Schauen wir uns die rund 6.300 erfassten Inaktiven von 20-64 Jahren näher an, so setzt sich diese Bevölkerungsgruppe wie folgt zusammen:

  • rund 2.000 Personen sind krank, invalide oder beziehen eine Behindertenrente
  • rund 1.700 sind pensioniert, frühpensioniert oder im Vorruhestand
  • rund 1.600 sind Studenten oder in Ausbildung
  • rund 770 sind ÖSHZ-Empfänger
  • rund 200 sind von der Arbeitsuche freigestellte Arbeitslose (für Ausbildung oder aus familiären Gründen)
  • rund 100 Personen sind in vollzeitiger Laufbahnunterbrechung.

Der Hauptgrund bei den 20-64-Jährigen in Ostbelgien, nicht auf dem Arbeitsmarkt aktiv zu sein, ist also eine Krankheit, Invalidität oder eine anerkannte Behinderung.

An zweiter Stelle kommen Personen, die bereits in irgendeiner Form pensioniert sind und sich vom Arbeitsmarkt zurückgezogen haben, auch wenn sie das gesetzliche Rentenalter noch nicht erreicht haben.

An dritter Stelle kommen Personen, die noch in Ausbildung sind. Diese Gruppe ist aber im Prinzip nur vorrübergehend inaktiv, bevor sie normalerweise im Anschluss an die Ausbildung in Arbeit wechselt. Die allermeisten in dieser Gruppe sind zwischen 20 und 25 Jahre alt.

An vierter Stelle kommen die Personen, die von einem ÖSHZ unterstützt werden, gefolgt von Personen, deren Rückzug vom Arbeitsmarkt eher temporärer Natur ist (Freistellung, Laufbahnunterbrechung) und die noch eine Verbindung zum Arbeitsmarkt haben.

Der Grund für die Inaktivität ist je nach Altersgruppe unterschiedlich:

  • Knapp die Hälfte aller Inaktiven ist 50 Jahre und älter. In dieser Altersgruppe sind die meisten Personen entweder bereits pensioniert oder krank/invalide. Auch der Anteil der Hausfrauen ist in dieser Altersgruppe laut Analysen auf Landesebene am höchsten.
  • In der Altersgruppe der 25-49-jährigen Inaktiven sind die meisten krank/invalide, gefolgt von den Sozialhilfeempfängern. Ein Teil ist aber auch der Kategorie der Hausfrauen zuzuordnen, die in den hier aufgeführten Zahlen für die DG aber nicht enthalten sind. Die Analysen auf Landesebene zeigen, dass auch eine niedrige Qualifikation, die Präsenz von kleinen Kindern im Haushalt oder eine ausländische Herkunft (besonders bei Frauen) zur Inaktivität in dieser Altersgruppe wesentlich beitragen.
  • Die 20-25-Jährigen sind zum weit überwiegenden Teil noch in Ausbildung und ein geringerer Teil wird von einem ÖSHZ unterstützt.

Es zeigt sich also, dass das theoretische Arbeitskräftepotenzial auch in der Deutschsprachigen Gemeinschaft weit über die registrierten Arbeitslosen hinausgeht. Inwiefern dieses Potenzial künftig besser in den Arbeitsmarkt integriert werden kann, muss sich zeigen.